Jöran Muuß-Merholz
@joeranDE podcastet gerne in Freiburg
Dejan Mihajlović
@DejanFreiburg hat erlebt, wie sein Begriff gekapert wurde
Axel Krommer
@mediendidaktik_ sucht nach einem knackigen Begriff für das blaue Medium
Warum wir neue Begriffe brauchen und die dann auch wieder gekapert werden
Wir suchen einen Begriff, der das beschreibt, was Lernen unter den Bedingungen des digitalen Wandels ausmacht. „Digitale Bildung“ ist Quatsch, „zeitgemäße Bildung“ wurde gekapert, „Bildung“ ist schon besetzt. Also muss ein neuer Begriff her – oder? Axel Krommer, Dejan Mihajlović und Jöran Muuß-Merholz über ihre Erfahrungen mit Begriffsneuschöpfungen, Begriffsbestimmungen und Bedeutungen. Und ein Aufruf an die Hörer*innen, mit eigenen Wortschöpfungen oder der Verteidigung bestehender Begriffe an der Debatte teilzunehmen.
- #BarcampSSAFR auf Twitter
- #digitaleBildung auf Twitter
- #zeitgemäßeBildung auf Twitter
- Podcast mit Dejan zum Begriff zeitgemäße Bildung
- Dejans Artikel zu #zeitgemäßeBildung
- #bayernedu auf Twitter
- Lewis J. Perelman: School’s Out: Hyperlearning, the New Technology, and the End of Education, New York: William Morrow and Company, Inc., 1992
- #edunautika auf Twitter
- Jöran zu edunautika
- #4Kde auf Twitter
- Axel zu palliative Didaktik
- Jöran 2015 zu „Ich sage jetzt auch #digitaleBildung.“
- Barcamp Freiburg
- Edunautika
- Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Frankfurt am Main: edition Suhrkamp, 2016
- Jörans Pinguin Medien Metapher
- Kübel- und Scheinwerfermodell
- Selbstwirksamkeitserwartung:
- James Bridle: the new dark age“, London, New York: Verso, 2018
Lieber Jöran, lieber Dejan, lieber Axel,
es ist immer wieder erfrischend zu hören, was in einem Thema gut orientierten Menschen so einfällt, wenn sie sich mehr oder weniger spontan dazu äußern sollen und dabei Begriffe ins Spiel kommen, die bis dato nicht so im Fokus der Podcaster waren. Es macht den Charme dieser Interpretation des Formats aus, dass man sich dabei auch leicht mal vergaloppieren kann (Manche Podcasts haben das geradezu zum Prinzip erhoben, denke ich manchmal, wenn ich PvdS höre 😉
Zum Begriff Empowerment ist unbedingt anzumerken, dass er laut Wikipedia seit etwa 1985 in sozialpsychologischen Zusammenhängen aufkam und bereits 1989 in einem Grundlagenwerk zu dem, was heute interkulturelle Bildung heißt, nämlich Louise Derman-Sparks: „Anti-Bias Curriculum – Tools for empowering young children“ Verwendung fand, also in genuin pädagogischem Kontext. Es ist damit eine Strategie bezeichnet, die zur Überwindung von Unmündigkeit durch bewussten Umgang (der davon Betroffenen) mit (rassistischen) Vorurteilen führt und damit ziemlich genau in dem im Podcast angesprochenen Kantschen Sinne aufklärerisch wirkt. (In wirtschaftlichem Kontext ist mir der Begriff dagegen bisher nicht aufgefallen.) Der Begriff Empowerment ist daher für mich klar positiv besetzt und taugte gut als pädagogischer Leitbegriff, wenn man denn einen bräuchte.
Die Strategie, am laufenden Band Neologismen kreieren zu wollen, weil der jeweils vorherige „gekapert“ worden sei, halte ich für wenig zielführend. Ich lehne nicht per se die Einführung adäquater Begriffe ab, aber die genannten Gründe dafür, dies von (vermutlich immer kürzer werdenden) „Kaperzyklen“ abhängig zu machen, halte ich für wenig stichhaltig.
So wurde der Analogieschluss „grünes Medium: Bildung, ergo blaues Medium: [Neuschöpfung]“ als Argument genannt. Meiner Meinung nach wird dabei die Landkarte mit der Landschaft verwechselt: Die Notwendigkeit wird aus dem Modell Pinguin-Welt abgeleitet. Ich würde bestreiten, dass es in Wirklichkeit zwei „Medien“ gibt, Es gibt lediglich eines, dass sich sukzessive verändert (so wie Milch in Kaffee). Damit entfällt das Argument teilweise, es könnte nun ebenso gut ausreichen, den ursprünglichen Begriff Bildung entsprechend der medialen Entwicklung neu zu denotieren, ihn gleichsam „einzufärben“.
Es wurden weiterhin einige Gründe angeführt, die auf die Funktion abzielten, die ein neu zu findender Begriff erfüllen soll. Meiner Meinung nach wurde dabei wenig reflektiert, dass die Funktion ja wesentlich von der Kommunikationssituation abhängt. Im wissenschaftlichen Diskurs steht Präzision im Vordergrund. Zudem sind in diesem Kontext oft komplexe Konzepte in den Begriff eingefaltet, die in der Kommunikation unausgesprochen präsent sind. Erweitert sich der Teilnehmerkreis des Diskurses (zur early majority), ändert sich die Kommunikationssituation und damit auch die Funktion des Begriffs: Sein Potenzial zu anschaulicher Vermittlung gewinnt an Gewicht. Es reicht nun, wenn sich Positionen damit grob abgrenzen lassen und die eingefalteten Konzepte können nicht (vollumpfänglich) als bekannt vorausgesetzt werden. (Damit ist m.E. der Erfolg von Pinguin-Welt erklärt, die nämlich genau diese Funktion bedient.) Es regiert das profunde Halbwissen, das in Lehrberufen so verbreitet sein soll. (Neudeutsch heißt das tl;dr, glaub ich 😉
Dummerweise ist es mit den gegenwärtigen Mitteln der Vernetzung – über Twitter, ergänzt durch eine unregelmäßig verbundene Landschaft aus Blogs und, neuerdings, kollaborativ erstellten Texten – nur schwer zu erkennen, wer mit welchem Wissen über die verwendeten Schlagworte kommuniziert. Was als „Kaperung“ erscheinen mag ist also vermutlich oft nicht absichtliche Umdeutung eines Begriffs, sondern geschieht eher nach dem Prinzip Stille Post, mangels Kenntnis der in den Begriff eingefalteten Konzepte.
Was wäre eine angemessene Reaktion darauf? Die Begriffe mindestens so schnell auszutauschen, wie sie vermeintlich „gekapert“ werden, hört sich nach Hase und Igel an und scheint mir keine wirkliche Option zu sein. Ich hielte es für lohnender darüber nachzudenken, wie die Kommunikation miteinander so gestaltet werden kann, dass den sich aus der Offenheit, Sprachverdichtung und Unverbindlichkeit des Twitter-Netzwerks ergebenden Schwächen begegnet werden kann. Vermutlich braucht es dazu eine Struktur neben Twitter. Die Blog-Parade der edupunx könnte dafür ein Beispiel sein.
Grüße Norman
Bin insofern mit Norman einverstanden, dass eine Flut von Neologismen die Gefahr birgt, dass man einander gegenseitig Sand in die Augen streut. Ob es tatsächlich sowas wie einen Kapungszyklus gibt und ob sich dieser am verkürzen ist, fände ich eine akademisch interessante Fragestellung, die jedoch kaum Zielführend sein wird.
Ich kann mir vorstellen, dass es vom Pferdefuhrwerk, über den ‚Horseless Carriage’ bis zu den Automobilen etliche Jahre gedauert hat. Die Medien waren damals top-down und konnten die Semantik ‚beherrschen‘. Insofern ist das diskutierte Problem (die Herausforderung?) exemplarisch dafür dass wir eben nicht länger im alten Medium leben. Vielleicht ‚frame‘ ich das verkehrt?