Eine Neu-Veröffentlichung, gut 7 Jahre später, aus dem verschollenen Projekt pb21
Max Woodtli† war ein Vordenker in Sachen zeitgemäße Bildung. Anfang 2017 ist er gestorben. Seine Arbeit wirkt, weiterhin. Bei mir, Jöran, hat ein Podcast-Gespräch mit Max Woodtli aus dem Jahr 2014 in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Deswegen veröffentlichen wir das Gespräch hier und heute neu.
Der Podcast stammte aus der Reihe „#pb21 | Web 2.0 in der politischen Bildung“, für die ich damals als Podcast-Host fungierte, die aber einige Jahre nach Ende des Projektes eingestellt wurde. Vielen Dank an alle, die es möglich gemacht haben, diesen digitalen Schatz zu bergen und neu zu veröffentlichen! Und danke, Max!
Aufgenommen in Berlin, ca. am 07.05.2014.
Die ursprüngliche Podcast-Beschreibung von pb21.de von 2014
PB044: Mehr mehrdimensional lernen, weniger binär denken
(Oder sowohl-als-auch?) #pb21-Podcast mit Prof. Max Woodtli
Professor Max Woodtli forscht und lehrt an der Pädagogischen Hochschule Thurgau in den Bereichen Medienbildung und Berufspädagogik. Er entwickelte das Projekt LIN:K, Lernen im Netz: Kompetenzorientiert. Im selben Themenfeld arbeitet Max Woodtli zusätzlich in der Ausbildung und Fortbildung zum Thema Lernoaching in verschiedenen Ländern Europas. Er sucht nach Wegen und Methoden zweiwertiges / binäres Denken aufzubrechen und polykontexturales Denken zu fördern und weiterzugeben.
Die Menschen denken seit Jahrtausenden binär. Es gibt immer nur zwei Möglichkeiten: entweder das eine oder das andere. Dieses Denkmuster hat lange Zeit gut funktioniert. Max Woodtli ist sich aber sicher: Um den Herausforderungen der heutigen Welt gewachsen zu sein, reicht zweiwertiges Denken nicht aus. Um im Netz kreativ, polykontextural denken zu können, müsse es Kindern bereits in der Schule beigebracht werden. Im Unterricht brauche es andere, kreative und neue Lernsettings, die zum Leben und Lernen in der Netzwelt passen. Zum Ja oder Nein, dem Entweder-Oder, brauche es ein Sowohl-als-auch oder gar ein Weder-noch.
Solche polykontexturalen Denkweisen sind bereits in Bereichen etabliert, in denen nicht die analytische Lösung, sondern der Prozess der Problemlösung selbst die Lösung ist. Aus seiner Coaching-Arbeit kennt Max Woodtli die Situationen, in denen die Beteiligten nicht mehr wissen: „Bin ich Lernender oder Wissender, sind wir in der Schule oder sind wir draußen?“ Die Rollen der einzelnen Person vermischen sich.
Um Schüler zum polykontexturalen Denken zu bewegen, brauche es vor allem eine veränderte Haltung. „Ich muss wissen, dass ich in jeder Situation sowohl Lernender als auch Lehrender sein kann.“ Lernen kann dann nur noch auf Augenhöhe funktionieren, als Austausch zwischen zwei Individuen und nicht zwischen Schüler und Lehrer, Wissendem und Nicht-Wissendem. Lehrer werden zu Begleitern, zu Ressourcenforschern. Diesen Haltungswandel kann Max Woodtli weder seinen Studenten noch jungen Lehrern im herkömmlichen Sinn beibringen. Lernanlässe müssen dem Interessierten selbst aufzeigen, wie sie wirken: „Wenn ich das tue oder nicht tue, dann macht das einen bedeutenden Unterschied und zwar sowohl für mein Gegenüber als auch für mich persönlich.” Lernen wird mehrdimensional.
Welche Methoden Lehrer, Studenten und Professoren bei solchen Lernprozessen anwenden, ob die Lernprozesse digital oder analog, alt oder neu, langweilig oder kreativ sind, spielt letztlich keine Rolle. Oftmals sind die unterschiedlichsten Möglichkeiten eng miteinander verwoben und unterstützen den kreativen Denkprozess. Max Woodltis Veranstaltungen an der Uni sind keine Vorlesungen, sondern bieten den Studierenden Raum, Gelerntes auszuprobieren. Es wird diskutiert, probiert, verworfen und experimentiert. Es gehe um die persönliche Weiterentwicklung und darum sich gegenseitig zu helfen. Wenn die Studierenden von einem Lernmodell nichts halten, sei das auch okay, „sie müssen mir das nur begründen“, so Woodtli.
Trotz hinderlicher Rahmenbedingungen „gibt es Schulen, die sich auf den Weg machen und die versuchen die einschränkenden institutionellen Rahmen zu sprengen und ein Sowohl-als-auch und Weder-noch zu installieren“. Selbst, wenn es nur teilweise funktioniert, Max Woodtli sieht viele Leuchttürme, Schulen wie die Oskar-von-Miller-Schule, die Auswege aus dem binären Denken suchen und wissen, dass kleine Schritte ein Teil des Weges sind.